Hier findet ihr Erlebnisberichte und Fotos von Besuchern des Love-and-Peace-Festivals 1970 und den Veranstaltungen der Fehmarn Festival Group seit 1995.
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Wir danken Reinhard Saalfeld für den ersten Beitrag.
Love & Peace Festival 1970
Ein Erlebnisbericht zwischen Wind und Regen
Im Frühherbst 1970 war ich schon ein halbes Jahr bei der Bundesmarine als Zeitsoldat im Flottenkommando Glücksburg/Meierwik stationiert.
Dienstgeilheit oder Karrieredenken an eine zukünftige Offizierslaufbahn standen nicht auf der Agenda. Die zwei Jahre Marine waren das Produkt von Hingezogensein zur Waterkant und Richtung Skandinavien. Bei der Musterung wurde mein Wunsch auf eine Sprachreise nach dem Abi abgelehnt. Die Sprachreise nach England war vorgetäuscht, denn ich wollte die noch verbleibende Freiheit ausgiebig genießen. Man befürchtete wohl ein Absetzen in das entmilitarisierte Berlin. Für eine Verweigerung fehlte mir damals der intellektuelle Hintergrund. Mein Leben in dieser spätpubertären Phase spielte sich in einem Kokon von Beat, Bier und BRAVO ab. So glaubte ich dem Bund ein Schnippchen schlagen zu können, indem ich mich für zwei Jahre verpflichtete und damit erst zum 1. Oktober zur „Navy“ eingezogen wurde. Die Arbeit im Flottenkommando war eintönig, aber mit viel Freizeit verbunden, da auch nachts Dienst geschoben wurde. Zudem war ich da stationiert, wo andere ihren Urlaub verbringen.
Die Strandgelage und Sauffahrten nach Dänemark waren legendär.
Der Entschluss, das Fehmarn Festival zu besuchen, fiel kurzfristig. Mein gleichnamiger Kumpel und ich hatten das Wochenende dienstfrei. Bei Beate Uhse in Flensburg ergatterten wir noch am Freitagnachmittag unsere Tickets.
Ich war einer der wenigen, der einen klapprigen VW Käfer besaß.
Es war Hippiezeit und ein großes dreiblättriges Kleeblatt zierte die Kühlerhaube.
Die Rücklehne war schon lange ausgebaut und die Sitzfläche lag in Waage. Da konnte man prima übernachten und auch sonstige Sachen veranstalten. Mein Kumpel konnte gut reden und da bald Geschäftsschluss war, handelte er dem Pornoladen das schmale Festival-Plakat für Null ab. Der handtuchgrosse Karton war ein bisschen zierlich gestaltet und farblos im Layout. Ein Mitarbeiter von Beate Uhse hatte es wohl für das Schaufenster, in dem es als letztes Exemplar hing, mit Buntstift etwas aufgemotzt. Dieses Baumstruktur-Design mit den angekündigten Bands begleitete mich auf vielen Stationen meiner Vita: München, Göttingen, Kassel, Greifswald, Helsinki usw. Jetzt ist das gute Stück weg. Ich fasse es immer noch nicht. Alles Grübeln hilft nicht. Es bleibt nur die visuelle Erinnerung.
Nach dem Ticketkauf deckten wir uns mit Flüssigkeit ein. Bei Hertie ein paar Flaschen Lambrusco. Das Standardgesöff von uns permanent geldklammen „Vaterlandsverteidigern an der Förde-Front“. Wir nannten den Rotwein in der Riesenflasche zärtlich „Knalli-Balli“ und „Blindmacher“. Essen war uns nicht so wichtig. Der Kombüsenbau aus „Adolfs Zeiten“ versorgte uns am Samstagmorgen reichlich und Notrationen wie Schwarzbrot in der Dose, genannt „Panzerplatten“ und Ähnliches füllten unseren Proviantbeutel auf. Wir waren voller Vorfreude. Ein freies Wochenende lag vor uns. Mal keinen Kater am Morgen und fit für Jimi. Mit Openair-gerechtem Outfit ausgestattet. Das hieß damals: Cordhose, Parka und amerikanische Springer-Boots oder Velour-Stiefel, je nach „Mods oder Rocker“-Vorliebe.
Die Armee-Uniform war identitätsstiftend, aber schizophren. Die Masse kleidete sich wie die US-
Invasoren, derentwegen wir gegen Napalm und „Agent Orange“ auf die Straße gingen. Die BW-Schlafsäcke in die „Schleuder“ geworfen und ab ging die Post auf die relativ kurze Fahrt nach Fehmarn.
Fehmarn war kein Neuland für mich und ist auch heute noch positiv besetzt. Schon als Vierzehnjähriger verbrachte ich Sommerferien im Zeltlager Avendorf. Vier Monate nach dem Festival wurde ich dann zur Radarstation Staberhuk auf Fehmarn abkommandiert.
Die Fahrt im Käfer habe ich nicht mehr groß in Erinnerung. Der Anblick der Fehmarnsundbrücke erhöhte allerdings meinen Blutdruck. Obwohl ich mich gut auskannte auf den Straßen der Insel, wurde ich bei dem zunehmenden Fuß- und „Enten“-Verkehr (Citroen!) zusehends zappelig Richtung Flügger Strand. Irgendwo kurz vorher war da eine Kneipe. Ein einsamer Backsteinbau auf dem platten dünnbesiedelten Eiland ist in meiner Erinnerung, aber brechend voll mit langhaarigen Typen, die alle irgendwie interessant und wichtig aussahen. Wir kamen uns etwas deplatziert vor mit unseren kurzen Haaren, wie wir meinten. Im Nachhinein gesehen hatten wir es jedoch bei der Marine gut getroffen. Helmut Schmidt war Verteidigungsminister und sein Haarerlass stufte ihn in eine respektable Kaste ein. Unsere Vorgesetzten waren zumeist Berufssoldaten und hatten andere private Sorgen, die wir genüsslich austauschten, als sich andauernd mit den gemeinen Matrosen wegen deren Haarpracht herumzuschlagen. Das verordnete Haarnetz für die „vergammelten 23-er“ (23: Laufbahn Radar) war dann plötzlich beim Waschen im kochenden Wasser eingeschrumpft, falls mal „Hoss von der Kleiderkammer“ sein Maul aufriss. Als Bonanza-Verschnitt versuchte er uns je nach Laune zu anständigen Soldaten zu erziehen. Für Jimi hatte ich mir dann auch extra die Haare hoch geföhnt und als Hommage zu „Red House“ einen knallroten Pulli und einen gleichfarbigen Schlapphut übergezogen.
Nach reichlich Wartezeit und Ellenbogenstupsen hatten wir uns dann in der Kneipe bis an den Tresen vorgearbeitet und ein paar Bier reingeschüttet. Das wärmte den Magen und hob die Stimmung. Vor allen Dingen waren wir angekommen. Wir gehörten dazu. Woodstock
war gegessen, jetzt spielte die Musik vor der Haustür. Nachdem wir den VW auf einer Wiese in einem Wirrwar von Autos abgestellt hatten, ging es zu Fuß zum Festivalgelände.
Die Hells Angels an der Eingangskontrolle benahmen sich normal und freundlich: Karte abgerissen und weiter ging es. Wir bereuten, dass wir nicht schon den Freitag „mitgenommen“ hatten. Das Gefühl etwas verpasst zu haben bei der wabernden Menschenmenge, die schon vor uns da war, nagte kräftig.
Wir vertrösteten uns auf Jimi Hendrix, Ginger Baker, Ten Years After und Taste, meine Idole der Zeit damals. Ein Meer von Parkas und Regencapes verwehrte uns das Vorpreschen Richtung Bühne.
Irgendwo im Gewühl gaben wir dann auf und markierten ein kleines Areal mit einer Bundeswehrdecke und mit dem mitgebrachten „Überlebenspaket“ aus Sprit, Schwarzbrot und Kippen.
Wir waren vorsichtig, trotz aller gleichgesinnten Nachbarn. Wir wechselten uns ab mit Pinkeln und Bewachen des Alkoholvorrats.
Die Kommunikation nach links und rechts war spärlich. Die meisten waren eingemummelt. Regenschauer und Windböen prägten die Atmosphäre.
Bei unserem Bundeswehr-Hintergrund waren wir auch nicht erpicht uns zu outen. Wir setzten ein Gesicht auf, als ob wir etwas von Che Guevara verstehen würden.
Wir bemerkten erst später, dass neben uns Ami-Dealer Shit verhökerten. Sie hatten sich einen kleinen Stand eingerichtet
mit Sortiment- und Preisangaben.
Es hingen immer neue „Junkies“ herum, die in schlechtem Englisch feilschten. „Groupies“ offenbarten ihre Reize, um etwas zu erhaschen.
Mich als Nichtraucher betörte der süßliche Duft, der über dem Festivalgelände lag. Der Samstag ging zur Neige, ohne dass ich mich an einen bemerkenswerten Musikauftritt erinnern kann.
Gerüchte machten dauernd die Runde: Abbruch, Auftritt von Jimi hin oder her, Absage von Ten Years After, von Taste usw. Das konnte uns nicht schocken, denn Jimi Hendrix und Ginger Baker (Cream) war schon damals für mich eine Legende. Dafür blieben wir und legten uns im Käfer zu Zweit in der Nacht die Rücken krumm.
Der Sonntag fing an, wie der Samstag aufgehört hatte. Wind und Regen, doch änderte sich die Intensität der Schauer merklich.
Vielleicht war das auch nur Wunschdenken. Ohne meine Idole wollte ich nicht zurück in den Kasernentrott. Zwischen all den Ansagen von der Bühne, wir verstanden sowieso nur knapp die Hälfte, machte irgendein Ärger mit den Hells Angels die Runde. Mit der Kasse durchgebrannt oder so. Es juckte uns wenig, die Veranstalter wahrscheinlich umso mehr. Fotheringay war eine Band, deren Musik noch wolkenhaft in meinem Kopf gespeichert ist. Ginger Bakers Airforce war nur afrikanisches Getrommel. Zum Abgewöhnen, aber Hauptsache ich hatte ihn live gesehen. Mit Ginger identifiziere ich „Spoonful“ und „Crossroads“, meine Cream-Favourites. Dann endlich kam Jimi Hendrix auf die Bühne.
Es war unbeschreiblich und ich bekomme noch heute eine Gänsehaut. Seine Erscheinung wischte alles weg: das lange Warten, die Ungewissheit, die schlechte Akustik, das Frieren und Aushalten. Die Musikfetzen von „Hey Joe“ saugte ich wie ein Schwamm auf.
Empfindungen des Damals und die Relikte, die für immer in mir konserviert sind, kann ich nicht 1:1 vermitteln. Jeder wird da seine eigene Sichtweise haben. Trotz aller persönlichen Entwicklungen und Wendungen im Laufe der Jahrzehnte, war das Konzert in der Retrospektive ein Meilenstein in meinem Leben. Bevor wir anschließend das Festival verließen, machte ich noch einen Spaziergang über den Zeltplatz an den nahegelegenen Strand.
Da flatterten irgendwelche bunte Bänder und Wimpel an Buden oder Zelten. Das ist alles nur noch schemenhaft in meiner Erinnerung. Aber es pulsiert noch heute das herbstliche „Theodor-Storm-Gefühl“ in meinen Adern. Ein bisschen Wehmut und Abschied lag in der Luft. Abschied von einem kaum beschreiblichen Ereignis für einen wilden und rastlosen jungen Mann mit 19 Jahren. Und es konnte ja keiner ahnen: ein langsamer Abschied von der Hippiezeit und ein baldiger von einem Gitarrenvirtuosen, der seiner Zeit voraus war. Mein großes Jimi-Hendrix-Poster, das von einer Boulevard-Zeitung am Samstag verteilt wurde, ziert heute die Wand meiner Tochter. Sie hat ihre eigenen Idole, ist aber irgendwie stolz darauf, dass der Papa damals dabei war.
Reinhard Saalfeld, August 2019
Reinhard Saalfeld bietet seine Fotos des Festivals als 6/6 Editionen als Schwarzweiß- oder Farbprint 20/20 cm (analog Originalfoto) zum Stückpreis von 10,- € plus Wunschversand an. Bitte Liste zur Auswahl anfordern auf Facebook unter https://www.facebook.com/reinhard.saalfeld oder schickt eine Mail an content@fehmarnfestivalgroup.com, die wir ihm dann weiterleiten.